Die Affenjahr-Belehrungen
Eine kurze Geschichte der „Affenjahr-Belehrungen“, auch bekannt als Großes Drikung-Phowa (Drikung Phowa Chenmo)
Seit der Zeit von Drikung Kyobpa Jigten Sumgön (1143–1217) gibt es die Tradition der jährlichen Sommer- und Winterbelehrungen, die von den Drikung-Kagyü-Thronhaltern an verschiedenen Orten des Drikung-Tals gegeben werden.
In manchen Jahrhunderten wurden diese Lehrzyklen mitunter sogar viermal in einem Jahr erteilt, durch politische Umstände allerdings meist weniger häufig. Nachdem zu Anfang des 17. Jahrhunderts abermals solch ein Niedergang erfolgt war, richtete der nächste Thronhalter, Thrinle Sangpo, eine neue Tradition von vier Haupt-Belehrungszyklen ein. Diese sollten jeweils nur alle drei Jahre gehalten werden, und zwar im Affenjahr, im Jahr des Schweines, dem des Tigers und im Schlangenjahr. Die Belehrungen dauerten traditionell sieben Tage, vom 8. bis zum 15. des Monats, dem Vollmond-Tag, an dem stets die Übertragung des Großen Drikung-Phowa gewährt wurde. Die Belehrungen des Tiger-Jahres gingen kurz darauf verloren, die Tradition der drei anderen großen Lehrzyklen ist bis in unsere heutige Zeit lebendig geblieben.
Von diesen dreien sind vor allem die Affenjahr-Belehrungen bekannt geworden als das Große Drikung-Phowa. Es ist in ganz Tibet und den Nachbarländern berühmt, vornehmlich wegen des großen Segens, der von ihm ausgeht – erteilt an einem besonderen Ort, zu einer besonderen Zeit, von einem besonderen Lehrer.
Die Bedeutung des Affenjahres leitet sich ab von der Tatsache, dass Guru Rinpoche (Padmasambhava) in einem Affenjahr geboren wurde und Kyobpa Jigten Sumgön mit einem seiner Schüler in einem Affenjahr die Tore zum heiligen Berg Tsari öffnete. Seit dieser Zeit werden in jedem Affenjahr im Affenmonat, dem 6. Monat im tibetischen Kalender, große Tsog-Opferungen in Terdrom Drong Ngur dargebracht. Dort versammeln sich, so heißt es, die Dakinis in gleicher Weise wie einst in Tsari. Zudem ist Terdrom dadurch berühmt, dass Guru Rinpoche sieben Jahre an diesem Ort lebte. Die Bedeutung des 6. Monats ist darauf zurückzuführen, dass Buddha Shakyamuni in diesem Monat zum ersten Mal das Rad der Lehre drehte und dass dies der Monat von Gampopas Parinirvana ist. Aus diesen Gründen verband Thrinley Sangpo die Affenjahr-Belehrungen mit jenem Ort und diesem Monat.
Die Phowa-Praxis ist eine Methode, um zum Zeitpunkt des Todes das Bewusstsein in ein reines Buddhaland zu übertragen . Es gibt viele verschiedene Arten der Phowa-Praxis, doch nur das Große Drikung-Phowa wurde so berühmt. Sein Name beruht auf dem großen kraftvollen Segen, der auf einen Verstorbenen so weit übertragen werden kann, wie ein Geier in 18 Tagen zu fliegen imstande ist.
Im Vajrayana ist die Phowa-Praxis der direkteste und schnellste Pfad zur Erleuchtung. Durch diese Praxis soll selbst der größte aller Sünder eine Chance haben, Erleuchtung zu erlangen. „Es gibt viele Belehrungen, wie wir Erleuchtung erreichen können. Doch ich habe eine Methode, die zur Erleuchtung führt – ohne Meditation“, sagte Marpa, der große Übersetzer und Vater der Kagyü-Tradition.
Ein Schüler, der keinen Zweifel an seinem Lehrer und den Lehren hegt, der voller Hingabe und Vertrauen ist, kann die Zeichen von Phowa bereits allein dadurch erfahren, dass er die mündliche Übertragung (Lung) erhält.
Die spezielle Phowa-Praxis wird „Phowa Chagtsugma“ (Stehender Grashalm) genannt. Sie entstammt ursprünglich einem Text aus dem Nyingma-Schatz des 9. Jahrhunderts und kam erst im späten 16. Jahrhundert in die Drikung-Linie, und zwar durch einen Lehrer des ersten Drikung Chungtsang Rigdzin Chodrag und des ersten Drikung Chetsang Konchog Ratna. Diese beiden nahmen die Praxis dann in den tiefgründigen Schatz der Drikung-Kagyü-Lehren auf, und so wurde sie berühmt als eine spezielle Übertragung und Praxis der Drikung-Kagyü-Linie.
Seit jener Zeit pilgern Menschen aus ganz Tibet und vielen angrenzenden Regionen zu den Affenjahr-Belehrungen nach Drikung, um die Übertragung des Großen Drikung-Phowa zu erhalten. Von Beginn der chinesischen Kulturrevolution an konnten in Tibet nur die Affenjahr-Belehrungen wieder gegeben werden – von S. H. Drikung Kyabgon Chungtsang. Im letzten Affenjahr, 2004, sollen dort mehr als 400.000 Menschen der Übertragung des Großen Drikung-Phowa beigewohnt haben.
Außerhalb Tibets erhält S. H. Drikung Kyabgon Chetsang weiterhin die Tradition aller drei Lehrzyklen aufrecht, wobei jeweils das Große Drikung-Phowa übertragen wird.
Quelle: Brief von Drubpon Sonam Jorphel Rinpoche, vom 25.11. 2015,
Drikung Kagyu Rinchen Palri Monastery Kathmandu